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Tausende neue Umweltzonen: EU reduziert Grenzwerte für Luftqualität - Die Green-Zones® Analyse:

Die EU-Kommission hat am Mittwoch, den 13.09.2023 für eine Anpassung der Grenzwerte für Luftschadstoffe gestimmt. Damit werden die zulässigen Grenzwerte ab 2035 deutlich gesenkt. Diese Änderung wird weitreichende Folgen für den Verkehr und die Luftreinhaltung in den Städten der gesamten EU haben. Wir haben genauer hingeschaut.

363 von 635 Abgeordneten stimmten am 13.09.2023 für die Senkung der Luftgrenzwerte. Damit war die Entscheidung zwar nicht eindeutig, aber die Verschärfung der Grenzwerte wird in den nächsten zehn Jahren kommen. Betroffen sind verschiedene Schadstoffe wie Feinstaub (PM2,5 und PM10), NO2 (Stickstoffdioxid), SO2 (Schwefeldioxid) und O3 (Ozon).

Diese Schadstoffe sind die treibende Kraft für Fahrverbote in Europa. Die Umsetzung von Luftreinhalteplänen und die damit verbundene Einführung und Aufhebung von Umweltzonen und Dieselfahrverboten, die Aktivierung von temporären Zonen in Ländern wie Frankreich und auch das Verbot von Verbrennungsmotoren in sogenannten Null-Emissions-Zonen - all dies steht und fällt mit den Feinstaub-, Stickoxid- und Ozonwerten.

Schon lange wird kritisiert, dass die von der EU festgelegten Grenzwerte deutlich zu hoch sind. Im Jahr 2018 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihre Richtwerte für Schadstoffe deutlich nach unten korrigiert. Die bisherigen Werte stammten aus dem Jahr 2005 und waren damit veraltet. Die von der EU noch verwendeten Werte lagen auch vor der Anpassung teilweise über den WHO-Werten. Spätestens nach 2018 war die Diskrepanz jedoch enorm. Die Luft in der EU ist also vielerorts auf dem Papier sauber, aber gemessen an den WHO-Standards keineswegs gesundheitlich unbedenklich.  Experten schätzen, dass in der EU jährlich rund 300.000 Menschen vorzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung sterben.

Das soll sich nun ändern. Die EU will die Standards an die neuesten Luftqualitätsrichtlinien der WHO anpassen, um die menschliche Gesundheit, die natürlichen Ökosysteme und die biologische Vielfalt in der EU zu schützen. Dazu sollen die Grenzwerte deutlich nach unten korrigiert werden: Für Stickstoffdioxid beispielsweise muss der Grenzwert um das Vierfache gesenkt werden, um die WHO-Richtlinie zu erreichen. Liegt er heute noch bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m³) Luft, sollen es 2035 nur noch 10 µg/m³ sein. Für die kleineren Feinstaubpartikel (PM2,5) müsste der Wert sogar auf ein Fünftel gesenkt werden: Von 25 µg/m³ auf 5 µg/m³. Für größere Feinstaubpartikel sind es immerhin noch 15 µg/m³ statt bisher 40 µg/m³. Doch schon fünf Jahre vor diesem Termin, also ab 2030, will die EU die Werte ein wenig nach unten korrigieren. Für Stickstoffdioxid und PM10 sollen dann noch 20 µg/m³ erlaubt sein, für PM2,5 noch 10 µg/m³.

Ein Rechenbeispiel zeigt, was die neuen Werte ab 2035 bedeuten könnten: Während 2021 etwa acht Prozent der EU-Bevölkerung in Gebieten lebten, in denen die Luftverschmutzung über den Grenzwerten lag, wären es mit den neuen Grenzwerten etwa 77 Prozent. Das bedeutet, dass mehr als drei Viertel der Bevölkerung in Gebieten leben, in denen Maßnahmen zur Verringerung der Luftverschmutzung ergriffen werden müssten. Bei derzeit etwa 1.200 Umweltzonen und anderen Fahrverboten in Europa würde eine Verzehnfachung der Gebiete mit schlechter Luft also unter Umständen die Einführung von mehr als 10.000 neuen Umweltzonen oder anderen Fahrverboten bedeuten. Im Osten Deutschlands zum Beispiel ist die Luftverschmutzung an einigen Orten deutlich zu hoch. Würden die neuen Grenzwerte bereits gelten, wäre die Luftverschmutzung in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen in diesem Jahr an einigen Orten bereits mehrfach überschritten worden. In Sachsen beispielsweise lebt ein Viertel der Bevölkerung in Gebieten, in denen die Feinstaubbelastung deutlich über den neuen Grenzwerten liegt. Aber nicht nur dort. Auch Berlin und einige Orte im Ruhrgebiet müssten nachbessern. Sonst sind dort großflächige Umweltzonen und Fahrverbote mit strengeren Regeln als bisher durchaus denkbar.

Die Forderung der EU geht aber noch weiter. Denn die Länder und Städte sollen nicht erst Maßnahmen ergreifen, wenn die Luftqualität zu schlecht ist. Die EU fordert die Mitgliedsstaaten auf, proaktiv zu handeln, um die Luftqualität bereits vor Einführung der neuen Grenzwerte so weit zu verbessern, dass erkennbar ist, dass die neuen Werte eingehalten werden können. Dazu müssen die Länder kurz- und langfristige Maßnahmen darlegen, gegebenenfalls neue Luftreinhaltepläne formulieren und Maßnahmen umsetzen, bevor die neuen Grenzwerte kommen.

Die EU möchte auch die fragmentierten und wenig intuitiven Luftqualitätsindizes, die es derzeit in der EU gibt, harmonisieren. Damit soll mehr Transparenz und Vergleichbarkeit zwischen den Ländern geschaffen werden. Außerdem sollen deutlich mehr Messungen durchgeführt werden, um die Luftqualität flächendeckend analysieren und verbessern zu können. Bis zum Jahr 2050 strebt die EU eine Nullverschmutzung der Luft an.

Das EU-Parlament muss nun mit dem Rat über die endgültige Form des Gesetzes verhandeln. 

Während in der EU immer mehr Umweltzonen eingeführt werden, gibt es auch immer wieder Städte, die Fahrverbote und Umweltzonen wieder aufheben. In Hannover wird es beispielsweise ab Januar 2024 keine Umweltzone mehr geben, in Hamburg wurden die Dieselfahrverbote erst letzte Woche aufgehoben. Angesichts der neuen Grenzwerte könnten diese Maßnahmen bald wieder rückgängig gemacht werden.

Es wäre wünschenswert, dass die EU-Länder die Entscheidung der EU-Kommission zum Anlass nehmen, die Städte proaktiv zu verändern und zum Beispiel mehr klima- und umweltfreundliche Alternativen zu schaffen. In den nächsten Jahren sollten Smart Cities entstehen, in denen die Menschen nicht mehr so viel durch die Stadt fahren müssen, um zum Beispiel zum Arzt, ins Krankenhaus, zur Schule und Kita oder zu Freizeiteinrichtungen zu gelangen. Außerdem soll es einen öffentlichen Nahverkehr geben, der auch die Außenbezirke der Stadt gut erschließt und - wenn schon nicht kostenlos - so doch zu erschwinglichen Preisen angeboten wird. Das Radwegenetz sollte verbessert werden. Geschwindigkeitsbegrenzungen und Pförtnerampeln könnten den Verkehrsfluss besser regeln, um Staus zu reduzieren. Umweltspuren könnten Fahrgemeinschaften attraktiver machen. Außerdem müssen Städte (noch) grüner werden, damit Pflanzen zur Luftreinigung beitragen können. Balkone und Gärten zu begrünen, statt zu versiegeln, kann dazu beitragen. 

Die Politik hat also in den nächsten Jahren viel zu tun. Aber auch wir einzelnen Bürgerinnen und Bürger sollten dazu beitragen, dass die Luft in den Städten besser wird. Sonst werden wir, wie beschrieben, bald viele Fahrverbote und Umweltzonen erleben.