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Euro7: Wird der Reifenabrieb zum größten Emissionsproblem?

Motorabgasen sind nicht die einzige Quelle für Umwelt- und Luftverschmutzung im Verkehr. Non-Exhaust-Emissionen wie die sogenannten Brems- und Reifenabrieb bereiten ebenfalls Sorgen – und lassen die Europäische Union und die Autoindustrie auf die Suche nach nachhaltigeren Lösungen gehen. Die für 2025 geplante Emissionsnorm Euro7 soll bald auch Partikel- und Mikroplastikemissionen von Pneumatik reglementieren – und sicherstellen, dass auch Wagen mit sauberen Motoren umweltschädliche Emissionen aus Reifen und Bremsen unter Kontrolle halten können. Doch scharf kritisiert werden die Pläne der EU.

Nach Schätzungen des Umweltbundesamtes bleiben jährlich ungefähr 150.000 Tonnen Reifenpartikel auf die Straßen und geraten von dort aus in den Boden, in Flüsse und Seen und letztlich auch ins Trinkwasser. Zum größten Emissionsproblem könnte der Reifenabrieb und die dadurch verursachten Freilassung von Mikroplastik und zahlreichen Schadstoffe daher werden. Ein Problem, gegen welches auch ein Umstieg auf Fahrzeuge mit nachhaltigeren Motoren, wie zum Beispiel Elektroautos, nichts ausrichten kann. Noch höher ist tatsächlich in diesen Fällen der Reifenabrieb, da Elektroautos schwerer sind als ihre Diesel- und Benzin-Pendants - und daher eine höhere Reibung auf der Fahrbahn verursachen. Mit anderen Worten: Elektroautos belasten die Umwelt wohl beim Auspuff weniger, gelten aber nicht mehr als durchaus umweltfreundlich, wenn man auch die Schadstoffe berücksichtigt, die durch den Reifenabrieb hinterlassen werden. 

Genau deswegen wird die kommende europäische Abgasnorm, die sogenannte Euro7, auch solche Emissionsfaktoren ernst nehmen, indem sie Emissionsstandards vorsieht, die auch den Reifenabrieb berücksichtigen werden. Für den Reifensektor bedeutet das ein Umdenken in Produktion und Technik. 

Dabei fallen nicht alle Räder ähnlich beim Abriebtests aus. Billigere Produkte zersetzen sich leichter und tragen mehr Verantwortung für die Verschmutzung durch Mikroplastik und gesundheitsschädliche Reifenpartikel. Sicher ist es aber, dass „Elektroautos die unbeabsichtigten Konsequenzen haben, höheren Reifenabrieb aufzuweisen, außer, wir bauen bessere Reifen" - erklärt Gunnlaugur Erlendsson, Chef vom Enso Tyres. Hierfür arbeitet das Unternehmen an der Entwicklung nachhaltiger Reifen für Elektrofahrzeuge. Und auch Michelin und Continental befassen sich damit, ihre Reifen über den kommenden Jahren haltbarer zu machen. Um circa fünf Prozent konnte Michelin ihren Abrieb zwischen 2015 und 2020 beispielsweise schon reduzieren. In der Zwischenzeit, dass die Reifentechnologie umweltfreundlicher wird, soll der Euro7 für das Verschwinden der schlechtesten Reifen sorgen und dazu führen, 'dass eine Menge Partikel bereits vermieden werden kann' - so Michelin-Experte Cyrille Roget. 

Jede erreichte Minderung wird vom Umweltexperten begrüßt. Hoch sind aber die Ansprüche in Hinsicht des erwarteten Verschmutzungspotenzials der Reifen-Straßen-Partikel. Denn zwar gelten sie alle nicht direkt als Feinstaub – weil nur 1.3 % dieser kleiner als 2,5 Mikrometer (PM 2,5) und 10 Mikrometer (PM 10) sind. Sie sind aber auch keine einfaches Mikroplastik. Manche der im Reifen-Gummi enthaltene Chemikalien sind besonders schädlich für Umwelt und Gesundheit– wie etwa der Zusatzstoff 6PPD, welcher nach der Oxidation zum Giftstoff wird. Vor allem aber: Im Gegensatz zu den Motorabgasen, die dank der Euronormen schrittweise zurückgehen, scheinen sogenannte Non-Exhaust-Emissionen aus Reifen sowie aus Bremsen nicht abzunehmen – beeinflusst durch die Zunahme des Fahrzeuggewichts aufgrund der Verkehrselektrifizierung.  

Die neue für 2025 eingeplante Abgasnorm soll aber der erste Schritt sein, um diese endlich zu reduzieren. Einerseits befasst sich die Euro7 weiterhin mit Motorabgasen - wenn auch nicht mit viel strengeren Vorschriften als die Vorgängernorm.  Anderseits ist es die erste Emissionsnorm, die die zu erwartende Schadstoffbelastung durch Non-Exhaust-Emissionen bei der Typgenehmigung von Neufahrzeugen berücksichtigt. Den neuen Vorschriften nach dürfen Fahrzeugen nur mit Reifenmodelle gefahren werden, mit der der Wagen früher die Homologation bestanden hatte. Da nur so könnten die Hersteller gewährleisten, dass die Grenzwerte für die Emission von Feinstaub und Mikroplastik wie bei Laborversuchen auch auf die Straße nicht überschritten werden. Das würde den Wechsel zu anderen Reifen limitieren, wenn nicht komplett verhindern. Und dementsprechend somit vermeiden, dass neue Reifen vermarktet werden, die den Euro7-Standards nicht entsprechen. Um einen echten Wandel der Reifenindustrie einzuleiten, sollten die Regeln jedoch nicht nur für neue Reifen gelten – sondern den Ersatzmarkt ebenso betreffen. Alternativ könnte die Europäische Union sich dafür entscheiden, die Zulassung von Reifen anhand Abriebes unabhängig des Fahrzeugs, also außerhalb der Euro 7, zu regeln. Ein Schwellenwert für den maximal zugelassenen Abrieb in g/1000 km würde dann festgelegt und alle Reifen auf dem Markt würden dadurch nach erwartetem Abrieb klassifiziert werden.  

Im Endeffekt bleiben viele Fragen im Rahmen der Verordnungen zur Minderung des Brems- und Gummi-Abriebes ungeklärt. Noch keine genauen Grenzwerte für den Reifenabrieb wurden zum Beispiel bei der Euro7 festgelegt. Sicher ist es aber, dass es nach Inkrafttreten der Norm in der Verantwortung der Hersteller liegen wird, Reifen zu produzieren, die die neuen Normen einhalten. Normen, die das Leben der Unternehmen in der Branche erschweren und den Herstellungsprozess einschließlich des Endprodukts erheblich verteuern können. Zwar begrüßen einige Hersteller wie etwa Michelin die Einführung eines Grenzwertes zur Senkung der Verschmutzung durch Reifen-Straßen-Partikel, wächst ebenso die Anzahl derjenige, die nur Nachteilen in den von der kommenden Abgasnorm vorgesehene Maßnahmen einsehen. 

Zum einen, weil angesichts der laufenden Umstellung auf die E-Mobilität Aufwand und Nutzen für die Umwelt in keinem Verhältnis stünden - kritisiert der Verband der europäischen Automobilhersteller (ACEA) – und viel mehr sollen Ressourcen in der Forschung und Herstellung grüneren Antriebsformen einfließen. Vor allem aber, da die neue Abgasnorm die Preise wesentlich nach oben treiben könnte – für die Autoindustrie, sowohl als auch für die Endverbraucher selbst. Die Europäische Kommission beziffert die Mehrkosten pro Fahrzeug nach der Umsetzung der Euro7-Norm nämlich auf durchschnittlich 80 bis 180 Euro. Für deutlich kostenintensiver hält das Beratungsunternehmen Frontier Economics in seiner Studie allerdings die Entwicklung Euro-7-konformer Antriebe und Reifen. Bei Pkw und Transportern mit Verbrennungsmotoren würde dies eine Preissteigerung von zwischen 1.862 und 2.629 Euro pro Wagen bedeuten – statt zwischen 184 und 446 Euro pro Exemplar, wie von der EU berechnet. Diesel-Lkw und Busse würden in der Herstellung laut ACEA-Schätzungen sogar 11.707 Euro teurer, während der Gesetzgeber in der Prognose zur Euro7 mit Mehrkosten von circa 2.765 Euro rechnet. Dazu kämen indirekte Kosten, die Besitzer von Euro-7-konformen Fahrzeugen dabei zusätzlich tragen werden – beispielsweise aufgrund des erhöhten Kraftstoffverbrauchs im Betrieb, verursacht durch das von der Emissionsnorm vorgesehene und kompliziertere Abgasreinigungssystem.  

Es ist daher keine Überraschung, dass kritische Stimmen immer mehr Platz nehmen - während Umweltexperten beklagen, dass der künftige Standard mit den auferlegten Grenzen zu lässig ist. Nicht nur in den Reihen der Industriellen und der Autolobby, sondern ebenfalls unter den Politiker, die die Entscheidungsprozesse in Europa führen. Selbst bei den EU-Mitgliedstaaten stößt der Entwurf der Europäischen Kommission für schärfere Abgasnormen zunehmend auf Widerstand. Vornehmlich eine Gruppe von acht Staaten um Frankreich und Italien stelle sich gegen die geplante Euro7-Verordnung auf und „lehne jedwede neue Abgasvorgaben für Autos und Vans ab“. Die Gründe? Wie die Autoindustrie fürchtet auch die Politik den negativen wirtschaftlichen Einfluss, den die Abgasnorm auf dem Automarkt haben könnte – einschließlich, was die steigenden Kosten für Neuwagenkäufer bedeuten würden. Außerdem bemängeln die acht EU-Ländern, die Zuwendung essenzieller Ressourcen zur Fahrzeuganpassung nach neuer Regelung. Da sinnvoller wäre es - heißt es im gemeinsamem Diskussionspapier – vermehrt in die Förderung emissionsärmeren Technologien zu investieren. Denn schließlich werden nur diese die Erreichung der gesetzten Klimaziele nach dem geplanten Verbrenner-Aus ermöglichen.

Unklar ist in diesem Sinne die Zukunft der kommenden Abgasnorm. Sie wird nicht in Kraft treten, bevor der EU-Ministerrat eine Einigung zum Kommissionsvorschlag endgültig finden wird. Die Umweltauswirkungen des Reifenabriebs zeigen es jedoch bereits, dass selbst vermeintlich saubere Technologien wie die Elektromobilität der Umwelt schaden können – und dass der Verzicht auf fossile Brennstoffe nicht gleichbedeutend mit Emissionsfreiheit ist. Auch wenn die Euro-7-Norm nicht ohne Schwächen ist, ist sie doch ein erster Schritt, um solche Schadstoffe bei der Herstellung und Zulassung künftiger Verbrennern zu reduzieren. Die Autobranche muss weiter daran arbeiten, Lösungen für abriebresistentere Reifen und grünere Motoren zu finden. Sowie die Politik weiterhin Maßnahmen ergreifen muss, die die technischen Möglichkeiten der Branche und gleichzeitig die Klimaziele berücksichtigen – bevor der Reifenabrieb zum größten Emissionsproblem wird.