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Luftverschmutzung in Deutschland: Zeit für neue Grenzwerte?

Oft werden zwar die aktuell gültigen Schadstoffgrenzwerte in zahlreichen deutschen Städten eingehalten, jedoch ist die Gesundheitsgefahr noch lange nicht unter Kontrolle. Ist es an der Zeit neue emissionsmindernde Maßnahmen einzuführen, einschließlich verschärfter Grenzwerte und Umweltzonen? Das fordern das Umweltbundesamt (UBA) und die Deutsche Umwelthilfe.

2022 wurden die Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffoxid fast überall eingehalten. Nur etwa bei zwei verkehrsnahen Messstationen in München und in Essen liege das Feinstaub- und Stickstoffdioxid-Niveau oft im kritischen Bereich. Mit Ausnahme einiger Fälle, in denen das Schadstoffniveau kurzzeitig hohe Spitzenwerte erreicht - wie beispielsweise in den letzten Tagen auch in Mainz und Offenbach - scheint die Luftverschmutzungslage daher auf den ersten Blick relativ gut unter Kontrolle zu sein. Dies ist jedoch in vielen Fällen nur ein erster Eindruck - oder sogar ein Fehlschluss, der auf aktuellen unzuverlässigen Grenzwerten beruht. 

Der jetzt veröffentlichte Luftqualitätsbericht des Umweltbundesamts für das Jahr 2022 zeigt nämlich, dass eine „gesundheitlich kritische Belastung der Atemluft mit Feinstaub und dem Dieselabgasgift Stickstoffdioxid“ in allen deutschen Städten festgestellt werden konnte. Dabei weisen 99,5% aller Messstationen Feinstaubwerte (PM2,5) oberhalb der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgelegten Grenzwertempfehlungen auf. Bei Stickstoffdioxid haben rund drei Viertel der Messstationen hingegen Grenzüberschreitungen festgestellt - vornehmlich in städtischen Gebieten, aber auch auf dem Land bleibt das Problem der Luftverschmutzung nicht zu ünterschätzen. Selbst in ländlichen Regionen liegt die Schadstoffbelastung in der Luft deutlich oberhalb der Grenzwert-Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Gesundheitsschutz. 

Im Endeffekt ist es eine Frage der Perspektive. Wie der Luftverschmutzungsgrad wahrgenommen wird, hängt auch von den aktuell gültigen Schadstoffgrenzwerten ab. Selbst wenn die aktuell in Deutschland gültige Schwelle nicht überschritten wird, bedeutet deren Einhaltung nicht automatisch, dass die Luftqualität gut ist und die Gesundheitsgefahr einfach nicht mehr besteht.  Im Gegenteil, die Werte der verschiedenen Schadstoffe in der Luft sind trotzdem nachweislich gesundheitsschädlich. Laut der Europäischen Umweltagentur sind aufgrund der Feinstaubbelastung rund 28.900 vorzeitige Todesfälle und aufgrund der Luftverschmutzung mit Stickstoffdioxid 10.000 vorzeitige Todesfälle deutschlandweit zu verzeichnen. 

Nicht mehr können Städte und Politik – erklärt Dirk Messner, Präsident der Umweltbundesagentur – sich auf Grenzwerte verlassen, die vor mehr als 20 Jahren definiert wurden. Viel mehr sollten Deutschland und die Europäische Union schärfere Vorgaben einführen und sich dabei an die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) orientieren. Diese bilden nämlich ein viel realistischeres Bild der Umwelt- und Klimalage, sowie die dafür notwendigen Eingriffe, da sie auf heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen über die gesundheitlichen Auswirkungen von Luftverschmutzung basieren. Im Vergleich zum derzeitigen Messsystem werden WHO-Grenzwertempfehlungen flächendeckend überschritten. 

Genau deshalb fordern das Umweltbundesamt (UBA) und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) die Bundesregierung erneut auf, auf nationaler und europäischer Ebene einzugreifen - und die Grenzwerte an die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Schwelle schnellstmöglich anzupassen. Nur so können die gesundheitlichen Folgen der Luftverschmutzung, verursacht unter anderem durch den Verkehrs- und Landwirtschaftssektor, reduziert werden. Zahlreichen Maßnahmen sind aber notwendig, um eine solche Absenkung des Luftverschmutzungsgrads überhaupt möglich zu machen. Die kommende EU-Abgasnorm Euro7 sei nur ein Beispiel davon, sowie ein Startpunkt für strengere Emissionsvorschriften. Viele andere Initiativen könnten die Klimaauswirkungen deutlich verringern. Darunter gelten sicherlich auch Umweltzonen. Obwohl diese in einigen Städten aufgrund einer relativen Verbesserung der Luftqualität abgeschafft werden, ist dies letztendlich eine verfrühte Entscheidung. Denn stattdessen sollten sie verschärft und vermehrt eingeführt werden. Nicht nur in den Innenstädten oder durch Dieselfahrverbote auf einzelnen Straßen, sondern flächendeckend. 

Andere Länder wie Frankreich oder die Niederlande denken schon viel weiter und planen jetzt schon für die nahe Zukunft komplette Verbote für Verbrenner. Wird Deutschland endlich die Ärmel hochkrempeln, um die Umweltverschmutzung zu reduzieren? Das bleibt abzuwarten.