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Umweltzonen: Fahrverbot für alle Euro 6 Diesel?

Kein isoliertes Phänomen - Mehr als 8 Millionen Autos seien zumindest mittelbar in die Nutzung von illegalen Abschalteinrichtungen zur Abgasmanipulation verwickelt. Das ergibt sich aus einer aktuellen ICCT-Studie, die die tatsächlichen Emissionen zahlreicher Fahrzeuge auf der Straße analysieren konnte. Was bedeutet nun diese Entwicklung im Dieselskandal für den Automarkt und die nationale sowie internationale Umwelt- und Verkehrspolitik? Wird es bald – in Deutschland und im Rest Europas - zu ausgeweiteten Umweltzonen und verschärften Fahrverboten für alle betroffenen Dieselklassen kommen?

Was als technisches Problem unter den Motorhauben einiger Fahrzeuge zunächst begann, hat sich inzwischen zu einem weitreichenden Skandal für das gesamte Dieselsegment entwickelt. Schon mehrmals hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) sich zu diesem Thema nachdrücklich geäußert. Im Juli 2022 erklärte der Gerichtshof Abschalteinrichtungen wie Thermofenster für unzulässig, denn sie führten zu einem Emissionsanstieg oberhalb der erlaubten und erwarteten Schwelle. Illegal sei nämlich deren Einsatz, wenn sie dazu dienen, die Abgasreinigung unter normalen Betriebsbedingungen zu reduzieren – und folglich den echten Schadstoffausstoß von Dieselfahrzeugen zu verschleiern. Und auch im letzten November wurde die Abgasmanipulation erneut zum Thema des EuGHs, als dieser urteilte, dass Umweltverbände gegen die Zulassung von Autos mit Thermofenster gerichtlich vorgehen dürfen.  

Studien und Emissionsprüfungen zeigen jedoch immer wieder, wie verbreitet diese Praxis war und noch ist. Sie verdeutlichen, welche Auswirkungen diese tatsächlich auf die Luftqualität und die Umwelt hat – sowie auch auf die Struktur und Wirksamkeit der Vorschriften, die klimaschützende Verkehrsmaßnahmen regeln. Viel größer als erwartet - wie eine aktuelle Studie des internationalen Umweltforschungsverbund ICCT aufzeigt – seien die Konsequenzen der Abgasmanipulation durch Abschalteinrichtungen. Nicht mehr nur bestimmte Fahrzeuge einiger Autokonzerne wie Volkswagen und Mercedes-Benz sind in den Skandal verwickelt. Die meisten Dieselfahrzeuge würden ihre tatsächlichen Emissionen laut ICCT-Forscher eigentlich manipulieren, da Varianten von Abschalteinrichtungen bei fast allen Dieseln angewandt worden seien. Nahezu alle namhaften Hersteller hätten wahrscheinlich solche Vorrichtungen eingebaut, um die Abgaswerte zu beschönigen - heißt es in der Untersuchung.  

Anhand verschiedener Studien und mithilfe einer großen Testdatenbank konnte der Umweltforschungsverbund zu dem schockierenden Ergebnis kommen und feststellen, dass über mehrere Jahre Dieselautos zu ungeplanten und zu hohen Abgasausstößen in Europa führten. Bei der Auswertung von Abgasmessungen wurden nämlich stark erhöhte Stickoxidwerte bei den meisten Autos mit Dieselmotoren der Klassen Euro 5 und Euro 6 festgestellt. Konkret handelt es sich dabei um gut 85 Prozent der Euro-5- und 77 Prozent der Euro-6-Diesel, die „verdächtig hohe Emissionen“ beim Abgastest aufweisen würden. In 40 Prozent der Fälle hätten sich sogar „extreme“ Werte für gesundheitsschädliche Stickoxide (NOx) ergeben, welche die Verwendung einer Abschalteinrichtung für fast sicher erklären.  

Aber auch weniger erhöhte Werte deuteten laut der Studie des Forschungsverbundes darauf hin, dass eine Motorkalibrierungsstrategie bei zahlreichen Dieselwagen Verwendung finden konnte. Diese wurde ebenfalls vom Europäischen Gerichtshof als verbotene Abschalteinrichtung eingestuft. Dass bis zu insgesamt 150-Automodelle mit Dieselmotor über eine eingebaute Abschalteinrichtung verfügen würden, hält die ICCT daher im Grunde für „sehr wahrscheinlich“. Dies entspräche circa 8,6 Millionen Fahrzeugen allein in Deutschland.  

Mehr als 8 Millionen Wagen hätten dann eine Typgenehmigung vom Kraftfahrtbundesamt (KBA) fälschlicherweise bekommen. Das Amt sei nun selbst vom Dieselgate betroffen und rechtliche Schritte wurden dagegen bereits eingeleitet - nämlich wegen der Beteiligung des KBAs an der Wiederzulassung diverser Betrugsdiesel nach einem jetzt unzulässigen Software-Update. Über 100 Verfahren gegen die Typgenehmigungen des KBA seien schon anhängig. „Das Kraftfahrtbundesamt und das zuständige Bundesverkehrsministerium haben viele Jahre die Profite der Dieselkonzerne über das Wohl der Menschen gestellt“ – kommentiert Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Das EuGH-Urteil verpflichtetet somit „das Kraftfahrtbundesamt, eine Hardwarenachrüstung oder alternativ die Stilllegung der Fahrzeuge anzuordnen", erklärt Resch weiter. Sofort, vor der Entfernung der unzulässigen Abschalteinrichtungen, soll das KBA sämtliche Dieselautos der Abgasnormen Euro 5 und 6 mit den geltenden Bestimmungen jedoch in Einklang bringen.

Alles in allem könnten die ICCT-Studie und das Urteil des Gerichtshofs weitreichende Folgen für Autohersteller und Behörden haben. Geändert haben sich nämlich auch die Bedingungen, unterdessen es für Besitzer von Dieselautos mit Abschalttechnik möglich ist, Schadenersatz zu verlangen. In den Augen des EuGHs sollten Autobauer künftig auch dann haften, wenn sie ohne Betrugsabsicht einfach nur fahrlässig gehandelt haben. Noch größer lassen sich aber die Implikationen für die Gesetze und Maßnahmen einschätzen, die bereits den Verkehr und damit die Emissionen der umweltschädlichsten Fahrzeuge regeln.  

Die Ergebnisse der Analyse des Umweltforschungsverbunds lassen nicht unerhebliche Zweifel daran aufkommen, wie viele Fahrzeuge tatsächlich betroffen sind - und wie lange die Autohersteller mehr oder weniger schuldhaft gegen zahlreiche Emissionsvorschriften verstoßen haben. Indem sie beispielsweise Fahrzeuge mit illegaler Software in Umweltzonen fahren ließen, führten sie letztendlich zur Erhöhung der Schadstoffbelastung und schädigten damit der Luftqualität. Denn obwohl die Umweltplakette auch dann gilt, wenn das Fahrzeug zu den Betroffenen zählt, ist es klar, dass solche Emissionsüberschreitungen eine Gefahr für die Umwelt darstellen – sowie für die Ziele, die Verkehrsmaßnahmen wie Fahrverbote und Umweltzonen im Sinne des Klimaschutzes grundsätzlich verfolgen.  

Bis Thermofenster und alle anderen Formen der illegalen Emissionsregulierung ein für alle Mal aus dem Verkehr gezogen werden, ist politisches Handeln erforderlich. Um die Schäden zu begrenzen und auszugleichen, die durch die Abgasmanipulationen entstanden sind und noch entstehen können. Da die Behörden jetzt davon ausgehen, dass die meisten Diesel-Pkw über eine illegale Abschalteinrichtung verfügen, soll die Regierung zusätzliche Maßnahmen im Interesse einer wirksameren Regulierung des Diesel-Verkehrs ergreifen.   

Die Entwicklungen im Abgasskandal könnten somit dazu führen, dass schon bestehende Umweltzonen erweitert werden oder dass mehr Fahrzeuge von den Einschränkungen direkt betroffen sein werden. Dies vornehmlich deshalb, weil die Verschärfung der Umweltzonenvorschriften und die Ausweitung aktiver Dieselfahrverbote sich mehrmals als eines der wirksamsten Mittel zur Emissionsreduzierung erwiesen haben – so Umweltexperten. In Städten wie Stuttgart, München, Hamburg und Darmstadt sind Dieselfahrverbote dieser Art schon in Kraft. Diese, angesichts der aktuellen Entwicklungen im Dieselgate, auf ganz Deutschland auszuweiten und zeitgleich zu verschärfen, wäre in diesem Sinne der nächste logische Schritt für die Ampel-Regierung. Das Gleiche gilt ebenfalls für die Europäische Union, da das Problem der Emissionsmanipulationen im Dieselsegment mehr als einen einzelnen nationalen Markt betrifft.  

Insgesamt stellt die Entscheidung des EU-Gerichtshofs einen wichtigen Meilenstein im Kampf gegen den Dieselskandal und den Klimawandel im Allgemeinen dar. Sie zeigt, dass auch große Autokonzerne für ihre Verstöße gegen die geltenden Emissionsstandards haftbar gemacht werden können - und dass sie sich ihrer Verantwortung gegenüber den Verbrauchern und dem Planeten nicht entziehen können. Zudem verdeutlichen das Urteil und entsprechende Studien aus den Umweltforschungsinstituten immer wieder die Notwendigkeit für strengere Emissionsstandards und eine bessere Regulierung der Automobilindustrie. Denn nur so könnten die Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung vor umweltschädlichen Abgasen und irreversiblen Klimaschäden abgeschirmt werden.  

Schließlich gelten die Umweltverschmutzung und der Klimawandel als eine unvermeidbare Herausforderung für diese und die kommenden Generationen. Ein globales Problem, welche im Endeffekt nur durch gemeinsames Handeln und zusammen Denken abgeholfen werden kann. Ob Deutschland zu diesem Zweck letztendlich beschließen wird, ein präventives Fahrverbot für alle Dieselfahrzeuge der Euro6-Klasse einzuführen, bleibt noch in Abwägung der Behörden.